#3 Einweihung Hotel Campingski


In meinem Leben vor M war ich auf Rucksacktour in Spanien, bin von Vietnam nach Kambodscha über den Mekong in einer wackligen Nussschale eingereist (und dabei eingeschlafen), habe in Thailand echt scharfe Currys gegessen (Ja zugegeben ein Anfänger-Fehler: „spicy“ bestellt, aber geil war‘s…), in der Bretagne selbst Austern gepflückt, Muscheln im Sand gesammelt und gegessen, war in Costa Rica nachts im Dunkeln unter einem Wasserfall baden und habe eine Schießerei hautnah mitbekommen, gelernt, dass man Cucarachas (Kakerlaken) zertreten und anzünden muss, und das am besten gleichzeitig, um sie loszuwerden (die PETA darf sich gerne an meine dortige Gastfamilie wenden), habe in einer Dorf-Grundschule in Matapalo Englisch unterrichtet, und nachts Schildkröten-Eier beschützt und die geschlüpften Babys zu ihrem Start auf eine sehr, sehr lange Reise begleitet, habe wochenweise in Abu Dhabi als Expat gelebt, und auf Madeira ein Häuschen mit vielen Stufen und Außenküche bewohnt und dabei das Meer Tag und Nacht rauschen gehört.

Unterwegs habe ich immer aufgeschlossene, interessante und interessierte Menschen kennengelernt und mich überall willkommen gefühlt.

Für meine Tochter wünsche ich mir ebenso schöne (und auch abenteuerliche) Erfahrungen - Interesse vorausgesetzt - damit sie eine weltoffene, kulturunabhängige Lebenseinstellung findet und sich überall dort zuhause fühlen kann, wo sie willkommen ist und geliebt wird.

Und so kommt es, dass ich nun mit den „kleinen Brötchen“ anfange: wir fahren in unser erstes Urlaubsabenteuer mit dem Camping-Bus. 

Es ist Sommer 2020.

 

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Ich bin sozusagen zum Camping-Fan erzogen worden. Meine Eltern hatten sehr früh einen Wohnwagen, mit dem sie ihre vier Kinder oft und gerne nach Bella Italia chauffiert haben. Zusammen mit Freunden meiner Eltern. Und meist auch mit Freunden von uns Kindern. Da war was los!


Seit ich erwachsen bin (oder mich so fühle) heißt für mich Camping: 

Natur pur, frische Luft, draußen sein, nette Menschen kennenlernen, gut und lange schlafen, klein, aber trotzdem fein kochen, ohne Handy, mit dem Luxus mal nicht erreichbar zu sein. Yoga in der Wiese gleich am Morgen, Kaffeebecher in der Hand und Tau auf den Grashalmen, im Idealfall Blick auf See, Fluss oder Meer oder ins Grüne, ins Tschitscherin-Grün (ja, googelt mal!). 
Ich kann stundenlang in der Wiese liegen und Wolkenbilder anschauen oder Gänseblümchen sammeln, oder Ameisen von der Decke schießen… oder ein Buch lesen, die Zeitung durchblättern, vielleicht auch schon tagsüber ein, zwei Bierchen trinken, eine Mütze voll Schlaf mitten am Tag, radeln, joggen, spazieren gehen. 

Ohne einen großen Plan zu haben, einfach in den Tag hinein- und mit der Sonne leben: steht die Sonne auf, steh auch ich auf, geht die Sonne schlafen, geh auch ich schlafen. Es sei denn, da wartet noch irgendwo ein Lagerfeuer und Jemand, der Gitarre spielen und singen, oder alternativ: gute Witze erzählen kann. 

Ja, viele Klischees, durchaus, aber für mich ist es genau DAS. 

 

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Mein erster gemeinsamer Campingausflug mit M und meinem ersten eigenen, gebrauchten FIAT Ducato, Ausbau Globescout, 14 Jahre alt, erst 70.000 km, war ein kleines Abenteuer im letzten Sommer 2020. 


Das Ziel: kleiner, aber feiner Campingplatz an der Pegnitz mit Empfangskomitee Oma, Opa und Wauwau.

Die Anreise – laut Navi etwas mehr als 1,5 Stunden Fahrt – als Alleinfahrer mit #specialneedskid auf dem Beifahrersitz ähnelte gefühlt einer Reise nach Italien (und da will ich im Jahr 2021 eigentlich mit M unbedingt hin! #hallocorona).

 

Was ich alles nebenbei – also neben hoch-konzentriertem (?!) Autofahren mit einem größeren Vehikel auf der Autobahn – machen kann: 

Brotzeit füttern, Trinkflasche reichen, Lieder singen, Geschichten ausdenken, Mandarine schälen (einhändig), Trinkflasche aus dem Pedalbereich angeln (einfüßig und einhändig), gute Laune verbreiten, Trinkflasche (beidhändig!) wieder auffüllen, weil das Getränk in meinem Fußraum vor sich hin plätschert, kurz mal schreien, was das jetzt schon für eine f*** anstrengende Autofahrt ist, LKW-Fahrer anbrüllen, weil sie vor mir ausscheren, feststellen, dass man vor Abreise das Wischwasser auffüllen sollte, Malstifte und Papier auf dem Kinder-Autositz bereit legen, um… zack… fünf Sekunden später wieder alles in den Fußraum fallen zu sehen, überlegen, ob ich selbst eigentlich schon etwas gegessen oder getrunken habe, die Frage verneinen und gleichzeitig feststellen, dass ich mir selbst keine Brotzeit eingepackt habe, ich aber glücklicherweise einen Schokoriegel in der Jackentasche finde, meinen Blutzucker nach oben treibe, auf die Uhr sehe und Ankunftszeit checke, kurz überlege, ob ich wieder umdrehen sollte, weil ich schon völlig durch bin, M lachen höre und vorige Überlegung verneine, aber den Gedanken weiter verfolge, warum M lacht… Ms Pups und etwas mehr hat sich seinen Weg gebahnt und resultiert nun in einer vollen Windel, nach etwa 30 Minuten Fahrt, also rechts ranfahren und wickeln.

Wickeln im hinteren Bereich, auf dem Bett.
 

Pause. Raus an die frische Luft, Beine vertreten. 
Einatmen, Ausatmen. 

Wieder einsteigen.

Weiterfahren.


So geht das in etwa die nächsten 90 Minuten fröhlich weiter. 

Zwischenzeitlich fängt auch noch das ausfahrbare Trittbrett zum Piepsen an. Sehr laut. Ein durchgängig schriller Ton begleitet uns rund 20 Minuten. Das ist seitens Hersteller so gewollt, denn das Piepsen zeigt an: Hoppla, dein Trittbrett ist noch ausgefahren, fahr den Bus rechts ran und den Tritt ein, sonst rasierst du damit jemanden. Der Verkäufer meines Busses hat mir bei Abholung bereits mitgeteilt, dass das Piepsen mal vorkommen kann, wenn es zum Beispiel nass ist, und der Kontakt dann nicht richtig arbeitet. Also nach 20 Minuten wieder rechts ranfahren, und mit Kind auf dem Arm – das natürlich auch wieder aus seinem Autositz aussteigen wollte – wie eine Verrückte mit dem Fuß gegen diesen wohlgemerkt eingeklappten (!) Tritt gehämmert, mehrmalige Akustik-Tests durchgeführt (Zündschlüssel rein, Mist, piepst immer noch). 

Und irgendwann habe ich M gefragt: 

Stört es dich, wenn es noch länger piepst? 

M lächelt. 

Und das Piepsen hört glücklicherweise auf. 
Ich bin zutiefst dankbar darüber. 

Und darüber, dass ich in den wichtigen Momenten im Leben eine innere - nahezu buddhistische Ruhe 😉 - verspüre. Alles ist gut. 
Wir werden ankommen.

 

Ohne weitere Zwischenfälle kommen wir tatsächlich an.

Durchgeschwitzt – Klimaanlage läuft, aber nur akustisch – werden wir mit stolzem Blick vom Empfangskomitee, mit einem frischen Bier aus dem Fass und dem roten Teppich (wirklich!) willkommen geheißen. Kurz noch eingeparkt, zwischen zwei Bäumen rückwärts seitwärts reingequetscht, mit Blick auf Pegnitz und fränkische Schweiz.

Mein Campingbus hat alles, um einige Zeit autonom verreisen zu können. Einen großen Schlafbereich mit viel Platz für Wickeln, Waschen, Turnen, ohne herunterzufallen, einen großen Kofferraum für allerlei Hilfsmittel wie Buggy, Hochstuhl, Rollstuhl, Badewanne, allerlei Kabel und Board-Werkzeug (ich hoffe, ich werde das nie brauchen – das dachte ich mir zumindest schon, als mir der nette Verkäufer das Board-Werkzeug gezeigt hat) und die übliche „Dinette“ mit drehbarem Fahrersitz und Tisch, sowie allerlei Staufächer, ein komplettes Bad mit Waschbecken, WC und Dusche (wobei ich letztere beiden noch nicht ausprobiert habe, ich fürchte mich ein bisschen davor). 

 

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Schaue ich so in meinen Bus, lerne ich recht schnell: Ordnung ist wichtig. Sehr wichtig.

Für M ist das so ziemlich egal. 
Sie kennt hier ihre vier Wände und fühlt sich sicher.

Und so fahren wir unsere (oder besser: ich meine) Aufregung langsam herunter und kommen in den richtigen Modus: 

M liebt es, den ganzen Tag draußen zu sein, Brotzeit zu machen, dem Opa bei jedem Handgriff interessiert auf die Finger zu schauen, Kirschen zu essen, sich von Oma betüteln zu lassen, mit dem Wauwau spazieren zu gehen (also im Buggy und damit auch mit mir), in der Wanne ein Gänseblümchenbad zu nehmen, im Radlsitz (Premiere!) eine ganz neue Perspektive zu genießen oder auf der Decke in der Wiese „Keeeseee“ zu essen. 

M sagt auch mal zu einem spontanen Tänzchen nicht nein - auf dem Boden im Dreck, weil wir auf dem Weg zum Dusch-Haus einen Camper treffen, der extra für uns ein paar Kinderlieder anstimmt. Ganz spontan singen, summen, klatschen und tanzen wir mit. Im Schlafanzug. Im Dunkeln.

M schläft in dieser Nacht besser als je zuvor. 

Und so verbringen wir einige Sommertage ohne viel Aufregung und dafür mit viel Unterstützung von Oma, Opa und Wauwau im Schlepptau. 

Glück kann so einfach sein. 

 

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Wenn es die Pandemie oder König Markus erlauben, werden wir auch im Sommer 2021 die ein oder andere Busreise machen und freuen uns, wenn ihr uns folgt. 
Virtuell oder „in echt und in Farbe“. 

Lasst uns schöne Erinnerungen für unsere Kinder erschaffen! 

Das brauchen wir alle mehr denn je.

Wer kommt mit?


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